«Es gibt mir ein gutes Gefühl, für andere da zu sein»

Susi Cronimund und Angela Mahmoodzada engagieren sich als freiwillige Mitarbeiterinnen beim ökumenischen Angebot „Raum+Stille“ im Glattzentrum, das von der reformierten Pfarrerin Christine Forster und dem katholischen Priester Johannes M. Oravecz geleitet wird. Im Gespräch mit dem «Anzeiger von Wallisellen» erzählen Susi Cronimund und Angela Mahmoodzada, was ihre Aufgabe umfasst, welche Menschen ihnen dabei begegnen, welche Momente schwierig sind und was ihnen das Engagement zurückgibt.
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Susi Cronimund (links) und Angela Mahmoodzada engagieren sich als Freiwillige im ökumenischen Angebot raum+stille im Glattzentrum.

Susi Cronimund, Angela Mahmoodzada, was ist «Raum + Stille»?
Angela Mahmoodzada: Ein Raum, der einem im täglichen Einkaufsgedränge des Glattzentrums ermöglicht, eine Weile für sich zu sein. Ein Platz, an dem man sich zurückziehen kann. Die Stille steht für die Ruhe, die hier herrscht, als Abgrenzung zum Trubel im Einkaufszentrum. Hier kann man wieder ruhig werden, sich eine Pause gönnen und seine Gedanken sammeln, bevor man weiter einkaufen geht.

Was sind das für Menschen, die dieses Angebot nutzen?
Susi Cronimund: Sehr unterschiedliche. Wir sind konfessionell neutral und es kommen oft Musliminnen und Muslime her, die ihr Nachmittagsgebet verrichten. An Samstagen sind viele junge Leute da, Familien mit kleinen Kindern oder Babys. Die meisten ruhen sich nicht aus bei uns. Sie schauen vielleicht kurz rein, fragen, was wir hier machen und gehen dann wieder. Manchmal kommen Jugendliche, die ihren Spass haben wollen, da passen wir auf, dass sie nicht alle Kerzen anzünden oder im Raum essen und trinken. Und öfters setzen sich Männer zu uns, um sich auszuruhen oder zu warten, während ihre Frauen beim Einkaufen sind.
Angela Mahmoodzada: Es besuchen uns ausserdem auch Menschen, die im Glatt arbeiten, nicht nur solche, die einkaufen.

Sprecht ihr diese Leute dann an?
Susi Cronimund: Ich spüre mittlerweile ziemlich gut, ob jemand allein sein oder reden möchte, nur dann spreche ich die Person an. Ich mag den Kontakt zu den Menschen, die uns besuchen, aber ich respektiere, wenn jemand das nicht wünscht. Es gibt auch Leute, die über ihre Probleme reden möchten und uns dafür gezielt aufsuchen. Manche kommen sogar regelmässig.

Angela Mahmoodzada: Es gibt aber auch solche, die sich nicht richtig trauen und zögernd an der Tür stehen. Dann gehe ich auf die Person zu, begrüsse sie, erkläre, wozu wir hier sind, oder drücke ihr einen unserer Flyer in die Hand. Kürzlich erklärte ich einem älteren Herrn, dass viele Menschen im Raum beten und er sagte spontan: «Also dann mache ich das jetzt auch.» Er setzte sich, senkte den Kopf und fing an zu beten. Das Gebet der Christen ist immer und überall möglich, das fand ich eindrücklich, ist es doch ein Kontrast zu den komplizierten Gebetsvoraussetzungen der Muslime. Wenn diese am Beten sind, «bewache» ich oft die Türe, damit niemand hineingeht. Denn wenn Muslime gestört werden, ist das Gebet ungültig. Wir haben im Raum+Stille Gebetsteppiche und neben der Bibel und einem jüdischen Gebetsbuch steht ein Koran. Ich bin auch selber schon gebeten worden, ein Gebet zu sprechen, was ich gerne getan habe.

Susi Cronimund, Sie sind seit den Anfängen von Raum+Stille im 2016 im Freiwilligen-Team. Was hat Sie zu diesem Engagement motiviert?
Mein inzwischen verstorbener Mann wurde zu dieser Zeit schwer krank und wir wussten, dass wir nun nicht mehr fortgehen können, sondern mehrheitlich in der Nähe bleiben müssen. Das gab für mich den Ausschlag für das Engagement bei Raum+Stille. Erfahren habe ich davon über ein Inserat. Daneben bin ich noch «Seniorin im Klassenzimmer», das heisst, ich unterstütze eine Lehrperson und die Schülerinnen und Schüler an einem Vormittag in der Woche im Unterricht. Ich habe eigentlich immer Freiwilligenarbeit geleistet.

Angela Mahmoodzada, Sie sind erst seit Anfang des Jahres dabei. Wie sind Sie zu Raum+Stille gekommen?
Eine Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Sie ist Sakristanin in der Pfarrei Rheinau, in der Johannes Oravecz als Pfarrer tätig ist, und wusste, dass ich noch eine sinnvolle Aufgabe suchte. Ich bin seit kurzem in Rente und habe viel Zeit. Ausserdem habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass bei den Menschen, vor allem wenn sie einsam sind, ein grosser Gesprächsbedarf besteht.

Braucht es einen speziellen Hintergrund oder Eigenschaften, die Sie für die Aufgaben in Raum+Stille qualifizieren?
Susi Cronimund: In erster Linie braucht es Empathie. Eine gewisse Gelassenheit und ein bisschen Lebenserfahrung schaden auch nicht. Man sollte offen sein, gut zuhören können und sich gerne mit Menschen auseinandersetzen. Und natürlich muss man freie Zeit für die Einsätze mitbringen und man sollte sich auch mit sich selber beschäftigen können. Denn zu gewissen Tageszeiten ist es manchmal ziemlich ruhig. Ich habe das Bedürfnis, nicht nur an mich zu denken, sondern für andere Menschen da zu sein, auch für Menschen, die ich gar nicht kenne, und ihnen zu helfen. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Jemand hat einmal zu mir gesagt, ich hätte eine «samariterische» Ader. Bei mir steht der religiöse Gedanke nicht im Vordergrund.

Wurdet ihr vorbereitet auf eure Einsätze im Raum+Stille?
Angela Mahmoodzada: Ja, bevor ich anfing, führte ich ausführliche Gespräche sowohl mit Christine Forster als auch mit Johannes Oravecz, die mich auf meine neue Tätigkeit vorbereitet haben.

Susi Cronimund: Unter dem Jahr gibt es Weiterbildungen, zum Beispiel besuchten wir einmal ein Kloster und konnten uns mit einer Nonne unterhalten. Zudem tauschen wir Freiwillige uns untereinander aus und es gibt ein gemeinsames Nachtessen im Jahr. Wer das Bedürfnis hat, kann sich jederzeit für ein Gespräch an Christine Forster oder Johannes Oravecz wenden. Das habe ich auch schon gemacht.

Wenn Menschen Ihnen ihr Herz ausschütten, sind sicher auch traurige, bewegende Schicksale dabei – wie reagieren Sie darauf?
Angela Mahmoodzada: Ich lasse sie erst einmal reden, bin in diesem Moment ganz für den Menschen da und höre ihm zu. Ich versuche eine professionelle Distanz zu wahren, aber manche Schicksale beschäftigen mich schon noch im Nachhinein. Bei konkreten Problemen können wir mit der Vermittlung von Kontakten zu verschiedenen Fachstellen weiterhelfen.

Susi Cronimund: Wir haben dafür eine Liste, auf der Hilfsangebote aufgeführt sind, die wir bei Bedarf beiziehen. Ich habe einmal einer Person die Kontaktdaten der Kirche an ihrem Wohnort herausgesucht, weil sie nicht wusste, wohin sie sich wenden kann. Mit ganz schwierigen Problemen sind wir selten konfrontiert, das sind Ausnahmen. Wenn aber jemand vor mir sitzt und weint, dann berührt mich das schon sehr und ich zeige Anteilnahme. Mit nach Hause nehme ich die Sorgen der Leute nicht, sondern versuche, mich abzugrenzen.

Wie oft seid ihr im Einsatz?
Susi Cronimund: Normalerweise zwei Mal im Monat für jeweils drei bis vier Stunden. Manchmal springen wir für andere Freiwillige ein, die verhindert sind. Es gibt jeweils einen Einsatzplan für die nächsten drei Monate, da kann man seine Präferenzen angeben, aber auch Ferien oder sonstige Abwesenheiten. Fällt jemand kurzfristig aus, organisieren die Leitenden von Raum+Stille einen Ersatz.

 Als Freiwillige geben Sie viel: Sie investieren Zeit und Mühe. Bekommen Sie auch etwas zurück?
Angela Mahmoodzada: Wenn ich merke, wie dankbar jemand ist, wie sich eine Person über einen Austausch freut, dann gibt mir das viel. Ich finde es schön, dass ich gebraucht werde. Nach meinen Einsätzen habe ich immer das gute Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. Wir bekommen ausserdem eine kleine finanzielle Entschädigung. Diese ist für mich ein willkommenes Benzingeld, da ich ein bisschen weiter weg wohne. Wir haben auch einen Mitarbeiter-Ausweis, mit dem wir Rabatt auf gewisse Einkäufe bekommen.

Susi Cronimund: Ich habe keine Erwartungen an die Menschen, mit denen ich in Kontakt komme, umso mehr freue ich mich über jede positive Reaktion und geniesse sie. Ich habe keine Enkel, deshalb freue ich mich besonders über den Kontakt zu Kindern. Mir würde definitiv etwas fehlen, wenn ich nicht mehr im Raum+Stille tätig wäre.

Euer Team braucht Verstärkung. Was geben Sie jemandem mit auf den Weg, der sich für die freiwillige Mitarbeit bei Raum+Stille interessiert?
Angela Mahmoodzada: Sie oder er soll die Sache entspannt angehen und auf sich zukommen lassen. Mit der Zeit lernt man dazu und wird sicherer in den Gesprächen.

Susi Cronimund: Ich empfehle, dass man einmal unverbindlich im Raum+Stille vorbeischaut und den Ort auf sich wirken lässt. Wir Freiwillige geben gerne über unsere Tätigkeit Auskunft. Danach ist es ein «learning by doing», bei dem man auf sich selber und sein Gefühl vertrauen sollte.

Verstärkung gesucht

Können Sie es «gut mit Menschen»? Sind Sie offen gegenüber anderen Kulturen und Religionen? Interessieren Sie sich für die Geschichte und das Schicksal anderer Leute? Haben Sie ein freundliches Auftreten, Einfühlungsvermögen und Zeit, die Sie sinnvoll einsetzen möchten? Dann ist Freiwilligenarbeit im Team von Raum+Stille im Glatt genau das Richtige für Sie. Die Aufgaben umfassen Präsenz und Aufsicht, Auskünfte für Besuchende erteilen, Gespräche führen und vermitteln, Telefondienst und kleine administrative Tätigkeiten. Der Dauer eines Einsatzes beträgt drei bis vier Stunden an einem Werktag oder Samstag. Es können ein bis vier Einsätze pro Monat geleistet werden. Neue Freiwillige werden sorgfältig eingeführt. Bei Interesse senden Sie bitte ein Motivationsschreiben und einen kurzen Lebenslauf per E-Mail an seelsorge@raumundstille.ch.

Hier gehts zum Artikel im Anzeiger von Wallisellen